Bei Angststörungen treten Ängste regelmäßig ohne reale Bedrohung auf und schränken die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein.

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Das Gefühl der Angst ist eigentlich eine normale, gesunde Reaktion auf Gefahr. Im Laufe der Evolutionsgeschichte hat sie sich als wichtiger Schutz- und Überlebensmechanismus erwiesen, der in Bedrohungssituationen ein angemessenes Verhalten einleitet. Angst schärft die Sinne und aktiviert körperliche Kräfte. Wenn Ängste allerdings regelmäßig ohne reale Bedrohung auftreten und die Lebensqualität des/der Betroffenen dadurch eingeschränkt ist, spricht man von einer Angststörung.

Angsterkrankungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Etwa 10 bis 15 % der Menschen leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer Angststörung. Frauen sind von den meisten Formen der Angsterkrankungen etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Formen der Angststörungen

Grundsätzlich unterscheidet man Angststörungen mit einem konkreten Auslöser und Angststörungen ohne konkreten Auslöser. In erstere Gruppe fallen vor allem die soziale Angststörung und spezifische Phobien wie Flugangst oder Höhenangst, in letztere Gruppe fallen beispielsweise die Panikstörung und die generalisierte Angststörung.

Panikstörung

Eine Panikstörung liegt dann vor, wenn der oder die Betroffene immer wieder unter Panikattacken mit heftigen körperlichen und psychischen Symptomen leidet. Die Angstanfälle treten auf, obwohl objektiv gesehen keine reale Gefahr besteht. Menschen, die unter einer Panikstörung leiden, werden oft von der ständigen Sorge begleitet, eine weitere Panikattacke zu haben ("Angst vor der Angst") und vermeiden gezielt Situationen, in denen eine solche auftreten könnte.

Folgende Symptome können im Rahmen einer Panikattacke auftreten:

  • Herzrasen
  • Schmerzen oder Enge in der Brust
  • Zittern, Schweißausbrüche
  • Schwindel, Übelkeit
  • Hyperventilation, Gefühl des Erstickens
  • Taubheitsgefühl, Kribbeln
  • Angst zu sterben
  • Angst, verrückt zu werden oder die Kontrolle zu verlieren
  • Entfremdungsgefühl gegenüber der eigenen Person (Depersonalisation) oder der Realität (Derealisation)

Etwa 5 von 100 Menschen erkranken im Laufe des Lebens an einer Panikstörung.

Generalisierte Angststörung

Hauptmerkmal einer generalisierten Angststörung sind anhaltende Sorgen oder Ängste, die nicht auf einen speziellen Auslöser zurückzuführen sind und mehrere Lebensbereiche umfassen. Der Lebensalltag von Betroffenen ist dabei von (meist unbegründeten) Sorgen geprägt, die sich häufig um Bereiche wie Gesundheit, familiäre und soziale Beziehungen, Arbeit oder Finanzen drehen. Typisch für eine generalisierte Angststörung ist auch das sogenannte "Katastrophendenken", bei dem die Erkrankten das Gefühl haben, dass ein Unglück unmittelbar bevorsteht. Die negativen Gedanken schaukeln sich dabei auf.

Zu den Begleitsymptomen einer generalisierten Angststörung gehören unter anderem:

  • Herzrasen
  • Zittern
  • starkes Schwitzen
  • Ruhelosigkeit/Schlafstörungen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Schwindel
  • „Kloßgefühl" im Hals
  • Muskelverspannungen
  • Mundtrockenheit
  • Übelkeit

Rund 4 bis 7% aller Menschen leiden zumindest einmal im Leben an einer generalisierten Angststörung.

Soziale Angststörung

Menschen mit einer sozialen Angststörung (soziale Phobie) fürchten, von anderen Menschen negativ wahrgenommen und beurteilt zu werden. Die Angst, sich in der Öffentlichkeit zu blamieren oder unangenehm aufzufallen ist dabei so stark ausgeprägt, dass die Betroffenen bestimmte Situationen bewusst vermeiden oder sich sogar vollkommen von Sozialkontakten isolieren. Folgende Situationen können bei Menschen mit einer sozialen Phobie unter anderem Angst auslösen:

  • Reden in der Öffentlichkeit, öffentliche Aufführungen (z.B. Vorlesen, Singen, Spielen eines Instrumentes)
  • Treffen von fremden Menschen
  • Ablegen einer Prüfung
  • ​​​​​​​Essen in einem Restaurant
  • Treffen zu einer Verabredung/zu einem Date
  • ​​​​​​​Sprechen mit einem/einer Vorgesetzten
  • Benutzen einer öffentlichen Toilette

Mit der Angst gehen auch körperliche und kognitive Symptome einher. Zu diesen gehören unter anderem:

  • Erröten
  • Zittern
  • Herzrasen
  • Schwitzen
  • Verkrampfung
  • Schwindelgefühle
  • Sprechhemmung/Versprecher
  • Gedankenkreisen
  • Panikattacken

Schätzungsweise rund 7 bis 12 Prozent aller Menschen leiden in ihrem Leben zumindest zeitweise unter sozialen Phobien.

Spezifische Phobien

Unter spezifischen Phobien versteht man übertriebene, irrationale Ängste, die sich auf bestimmte Dinge oder Vorgänge beziehen. Häufig wird die Angst dabei schon durch den Gedanken an die entsprechenden Situationen oder Objekte ausgelöst.

Geläufige Phobien sind unter anderem:

  • Flugangst
  • Höhenangst
  • Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie)
  • Angst vor bestimmten Tieren wie Spinnen oder Schlangen
  • Angst vor Prüfungen
  • Angst vor Dunkelheit
  • Angst vor medizinischen Eingriffen, einschließlich Nadeln und Injektionen

Etwa 10 % aller Menschen leiden im Verlauf ihres Lebens an einer spezifischen Phobie.

Agoraphobie

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Unter Agoraphobie versteht man die Angst vor Orten oder Situationen, die bei den Betroffenen das Gefühl erwecken, die Kontrolle zu verlieren oder nicht leicht entkommen zu können. Diese Störung wird auch "Platzangst" genannt, wobei unter diesem Begriff etwas anderes gemeint ist als die Angst vor engen Räumen (in der Fachsprache als Klaustrophobie bezeichnet). Die Agoraphobie geht häufig mit einer Panikstörung einher.

Patient:innen mit Agoraphobie vermeiden, sich auf öffentlichen Plätzen oder in Menschenmengen aufzuhalten, da sie befürchten, im Falle einer Panik nicht schnell genug aus dieser Situation heraus zu kommen oder peinliches Aufsehen zu erregen. Diese Form der Angststörung kann aber auch auf Reisen oder beim Schlangestehen auftreten. Im Extremfall scheuen sich die Betroffenen schließlich sogar davor, die eigene Wohnung zu verlassen.

Diagnostik

Grundsätzlich sollte immer im Zuge eines ausführlichen Arzt-Patient:innen-Gespräches abgeklärt werden, ob eine krankhafte Angst vorliegt oder nicht. Es gibt jedoch einige Anhaltspunkte, anhand derer Betroffene einschätzen können, ob sich ihre Angst im Rahmen des Normalen bewegt oder nicht.

Selbsttest: "Normale" Angst oder Angststörung?

Wenn Sie mindestens einer der folgenden Aussagen zustimmen, sollten Sie jedenfalls ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen:

  • Ich denke mehr als die Hälfte des Tages über meine Ängste nach.
  • Ich werde durch die Ängste in meiner Lebensqualität und Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt.
  • Wegen meiner Ängste werde ich immer depressiver.
  • Wegen meiner Ängste hatte ich schon Selbstmordgedanken.
  • Ich bekämpfe meine Ängste oft mit Alkohol, Drogen oder Beruhigungstabletten.
  • Wegen meiner Ängste ist meine Partnerschaft oder meine Arbeit ernsthaft in Gefahr.

Körperliche Ursachen ausschließen

Da Angsterkrankungen mit einer Vielzahl körperlicher Symptome einhergehen, müssen zunächst organische Ursachen (z.B. eine neurologische Erkrankung, eine Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems oder der Schilddrüse) ausgeschlossen werden. Zu den Standarduntersuchungen zählen in diesem Zusammenhang ein EKG (Messung der Aktivität des Herzens), ein EEG (Ableitung der Hirnströme) oder eine Magnetresonanztomografie (MRT).

Ursachen

Wie genau Angststörungen entstehen, ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch eine Reihe von Theorien zu den möglichen Ursachen. In diesem Zusammenhang werden in der Fachwelt sowohl genetische, neurobiologische als auch psychologische Faktoren diskutiert. Ein Zusammenspiel dieser Faktoren scheint für das Entstehen einer Angsterkrankung entscheidend zu sein.

Genetische Faktoren

Offenbar spielen genetische Faktoren bei der Entstehung von Angststörungen eine Rolle. So haben Studien gezeigt, dass Kinder von Betroffenen ein mehr als 50% höheres Risiko haben, ebenfalls an einer Angststörung zu erkranken als Kinder von Eltern, die nicht betroffen sind. Speziell bei der generalisierten Angststörung und bei spezifischen Phobien ist ein signifikanter Zusammenhang zwischen Erkrankung der Eltern und Erkrankung des Kindes zu erkennen. Zudem treten Angststörungen bei eineiigen Zwillingen häufiger gleichzeitig auf als bei zweieiigen.

Ein einzelnes Gen, das für Angsterkrankungen verantwortlich ist, konnte bislang nicht identifiziert werden. Fachleute gehen deshalb davon aus, dass mehrere Gene für die Entstehung einer solchen Störung verantwortlich sein können.

Neurobiologische Faktoren

Auch biologische und chemische Prozesse im Körper scheinen für Angsterkrankungen mitverantwortlich zu sein. So dürfte bei Betroffenen das Gleichgewicht von bestimmten Botenstoffen (Neurotransmittern) im Gehirn gestört sein. Für diese Theorie spricht jedenfalls die Wirksamkeit bestimmter Medikamente, der sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), die die Konzentration des wichtigen Botenstoffes Serotonin im Gehirn erhöhen.

Außerdem wurde bei Angstpatient:innen eine Veränderung in bestimmten Gehirnregionen (z.B. in der Hirnrinde, dem limbischen System oder im Hirnstamm), die für die Steuerung der Emotionen zuständig sind, festgestellt.

Psychische Faktoren

Psychische Erklärungsmodelle nehmen einen ganz wesentlichen Teil der Ursachenforschung bei Angststörungen ein. Eine Reihe von psychosozialen und psychologischen Faktoren dürfte bei der Entwicklung einer Angsterkrankung beteiligt sein. Dazu gehören traumatische Kindheitserlebnisse (z.B. körperliche oder seelische Gewalt, sexueller Missbrauch) genauso wie länger andauernde psychosoziale Stressbelastungen.

Vor allem lerntheoretische und psychoanalytische Erklärungsmodelle der Entstehung von Angsterkrankungen sind populär.

Lerntheoretische Modelle

Diese Theorien gehen davon aus, dass Ängste erlernt werden. Durch ein wiederholtes Vermeiden der Angstsituation kommt es dabei zu einer dauerhaften Verfestigung der Angststörung. Der/die Betroffene "lernt", dass das Vermeidungsverhalten die Angst reduziert - in Wirklichkeit wird die Angsterkrankung dadurch jedoch nur verstärkt, da Patient:innen nie die Erfahrung machen können, dass ihre Angst eigentlich unbegründet ist.

Einem anderen Modell zu Folge könne Ängste auch durch die bloße Beobachtung von nahen Bezugspersonen erlernt werden. So kann z.B. ein Kind, das die Spinnen-Angst der Mutter beobachtet, selbst diese Phobie entwickeln.

Psychoanalytische Modelle

Psychoanalytische Ansätze besagen unter anderem, dass Angststörungen durch Bewusstseinsinhalte ausgelöst werden, die ursprünglich verdrängt wurden. Diese tiefenpsychologischen Konflikte können zum Beispiel durch traumatische Erlebnisse in der Kindheit oder durch bestimmte Erziehungsstile entstehen und kehren im Verlauf des Lebens in der Form von diffusen, zunächst nicht zuordenbaren Ängsten wieder.

Therapie

Angststörungen können in der Regel gut behandelt werden. Allgemein gilt: Je früher mit einer Therapie begonnen wird, desto höher sind die Aussichten auf eine Besserung. Zur Verfügung stehen sowohl psychotherapeutische als auch medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. In vielen Fällen ist eine Kombination beider Therapieformen besonders effektiv.

Psychotherapie

Im Bereich der Psychotherapie haben sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie und tiefenpsychologische Methoden als wirksam erwiesen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Im Zuge der Konfrontationstherapie setzt sich der/die Betroffene langsam und schrittweise ganz bewusst der angstauslösenden Situation aus. Er/sie wird bei diesem Prozess vom Therapeuten/von der Therapeutin begleitet. Dabei lernt der/die Patient:in, die Angst richtig einzuordnen, mit dieser umzugehen und z.B. mit langsamer, kontrollierter Atmung oder anderen Entspannungstechniken zu reagieren. Das Gehirn speichert diese Erfahrung und so verliert der angstauslösende Reiz mit der Zeit seinen Schrecken.

Speziell bei der Behandlung von sozialen Phobien können auch verhaltenstherapeutische Rollenspiele hilfreich sein. Im Zuge dieser kann der/die Betroffene angstauslösende Situationen erproben und lernen, sie erfolgreich zu bewältigen.

Tiefenpsychologische Methoden

Auch tiefenpsychologische Methoden wie eine Psychoanalyse können sinnvoll sein. Im Verlauf einer solchen versucht der Therapeut/die Therapeutin gemeinsam mit dem Patienten/der Patientin, tiefer liegende seelische Probleme als Wurzel der Angst aufzudecken und zu bearbeiten.

Medikamentöse Therapie

Zur medikamentösen Behandlung einer Angststörung werden vor allem Antidepressiva verwendet. Zum Einsatz kommen dabei beispielsweise Wirkstoffe aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI).

Wichtig zu wissen ist, dass die Wirkung dieser Arzneimittel meist erst mit einer Latenzzeit von ca. zwei Wochen eintritt. Angstlösende und dämpfende Medikamente (Anxiolytika, Sedativa) sollten aufgrund ihres hohen Abhängigkeitspotentials nur zeitlich stark begrenzt zum Einsatz kommen.

Bei leichteren Angststörungen können auch pflanzliche Präparate hilfreich sein. Zu den Arzneistoffen, denen eine angstlösende Wirkung zugeschrieben werden zählen unter anderem Baldrian, Lavendel, Johanniskraut, Passionsblume und Kamille.

Was Sie selbst tun können

Folgende Maßnahmen können Sie bei der Therapie einer Angststörung unterstützen:

  • Der Angst nicht ausweichenVermeidungsverhalten verstärkt eine Angststörung nur. Deshalb sollte man im Idealfall nicht vor einer angstauslösenden Situation flüchten. Menschen mit Klaustrophobie sollten beispielsweise keine Fahrstühle meiden - auch, wenn es große Überwindung kostet. Je häufiger man sich der angstauslösenden Situationen aussetzt, desto besser kann es gelingen, die Angst mit der Zeit abzubauen.
  • Schritt für Schritt vorgehenÜberfordern Sie sich bei dieser Vorgangsweise jedoch nicht. Es ist nicht einfach, sich plötzlich angstauslösenden Situationen zu stellen, denen man lange ausgewichen ist. Setzen Sie sich realistische Etappenziele und seien Sie ruhig stolz auf sich, wenn Sie Fortschritte machen.
  • Sport und EntspannungsübungenSportliche Betätigung kann angstlösend wirken. Auch Entspannungsübungen wie bestimmte Atemtechniken und progressive Muskelentspannung können sich positiv auswirken. Viele Menschen finden auch in Yoga oder Meditation eine nützliche Stütze.
  • Führen eines Angst-TagebuchesDas Führen eines Angst-Tagebuches kann hilfreich sein, da man auf diesem Wege viel über die eigenen Gefühlszustände und ihr Auftreten erfahren kann. Angst und Panik gehen häufig mit anderen Emotionen Hand und Hand. Beobachten Sie auch Ihren Lebensalltag. Achten Sie auf mögliche Verstärker der Angst (z.B. Stress, Alkohol-/Medikamentenmissbrauch, Koffein etc.) und vermeiden Sie diese in Zukunft. Notieren Sie auch, wenn Ihnen etwas in einer bestimmten Situation geholfen hat.
  • Gespräche mit engen BezugspersonenVertrauen Sie sich engen Bezugspersonen an und reden Sie offen über Ihre Ängste. Mit etwas Unterstützung lässt sich eine Angststörung leichter bewältigen.
  • Besuch einer SelbsthilfegruppeAuch der Austausch mit anderen Betroffenen kann äußerst hilfreich sein. Alleine die Erfahrung, dass man mit der Erkrankung nicht alleine ist und es Millionen von Menschen ähnlich geht, ist oft Balsam für die Seele.

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