Das Klebereiweiß Gluten ist in aller Munde: Worin es steckt, wann es die Gesundheit gefährden kann und warum ein Verzicht für Gesunde kaum Vorteile bringt.

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Das Angebot an glutenfreien Lebensmitteln in den Regalen der Supermärkte wird immer größer und die Produkte finden viele Abnehmer. „Glutenfrei“ scheint im Trend zu liegen. Doch was steckt hinter dem Begriff „Gluten“ und für wen macht eine glutenfreie Ernährung überhaupt Sinn? Gluten, das auch als Kleberweiß bezeichnet wird, ist ein komplexes Eiweiß, das in vielen Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Hafer, Grünkern, Triticale, Kamut, Einkorn und Emmer enthalten ist. Es sorgt dafür, dass der Teig elastisch ist, zusammenhält und daraus gebackenes Brot und Gebäck den richtigen Biss hat. So betrachtet ist Gluten eine tolle Sache, die den Genussfaktor von Getreideprodukten steigert.

Problematisch wird es allerdings dann, wenn es nach dem Genuss von Nudeln, Semmerl & Co. zu Blähungen, Bauchbeschwerden, abnormen Stühlen oder auch nur einer ungewohnten Müdigkeit kommt. Treten diese Symptome über einen längeren Zeitraum auf, sollte man an eine Glutensensitivität oder eine Zöliakie denken.

Zöliakie: Dünndarm in Gefahr

Zöliakie ist eine genetische Störung, die Menschen jeden Alters betreffen kann. Bei einer Zöliakie löst das Klebereiweiß eine Autoimmunreaktion aus, die langfristig die Darmzotten, mit denen der Dünndarm ausgekleidet ist, vollständig zerstören kann. Die kleinen, fingerartigen Ausstülpungen des Dünndarms sind allerdings für die richtige Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen von großer Bedeutung. Bei Kindern macht sich Zöliakie oft Wochen oder Monate, nachdem sie zum ersten Mal mit glutenhaltigem Getreide in Berührung gekommen sind, bemerkbar.

Typischerweise treten erste Symptome am Ende des ersten oder am Beginn des zweiten Lebensjahres auf. Auf eine mögliche Zöliakie sollte man bei kleinen Kindern denken, wenn Gedeihstörungen, schlechte Laune, abnorme Stühle und gelegentliches Erbrechen auftreten. Kleinwuchs, Blutarmut oder Verhaltensstörungen können bei älteren Kindern ein Indiz für die Erkrankung sein. Nicht einfach zu erkennen ist Zöliakie bei Erwachsenen, da die Beschwerden sehr vielfältig sein können.

Obwohl es inzwischen eine Reihe von Tests gibt, mit denen sich bestimmte Antikörper im Blut nachweisen lassen, ist zur endgültigen Diagnose meist eine Dünndarmbiopsie erforderlich. Laut Studien sollen 1–3 % der Mitteleuropäer kein Gluten vertragen. Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Zöliakie geht davon aus, dass jedoch nur einer von zehn Erkrankten überhaupt eine Diagnose bekommt.

Wird nach der Diagnosestellung Gluten konsequent aus dem Speiseplan gestrichen, regeneriert sich die geschädigte Dünndarmschleimhaut wieder vollständig, und der Allgemeinzustand der Betroffenen verbessert sich meist schon nach kurzer Zeit.

Die Symptome einer Glutensensitivität – also einer Empfindlichkeit gegenüber dem Klebereiweiß – sind jenen der Zöliakie sehr ähnlich, jedoch meist weniger stark ausgeprägt. Anders als bei der Zöliakie kommt es bei der Empfindlichkeit gegenüber Gluten jedoch zu keiner Bildung von Antikörpern und somit zu keiner schädigenden Entzündung der Darmschleimhaut. Durch den Verzicht von Gluten kommt es auch bei einer Sensitivität zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden.

Finger weg von Weizen, Roggen & Co.!

Die einzige, derzeit bekannte Behandlung von Zöliakie ist der strikte Verzicht auf Gluten – und zwar ein Leben lang. Mehl, Grieß, Brösel, Brot, Gebäck, Teigwaren, Saucen, Kuchen, Waffeln und dergleichen, die glutenhaltiges Getreide enthalten, sind ebenso zu meiden wie Malz und malzhaltige Getränke wie etwa Bier oder Malzkaffee. Da viele glutenhaltige Zutaten auch in verarbeiteten Lebensmitteln zum Einsatz kommen, ist ein genaues Studieren der Zutatenliste auf der Verpackung unerlässlich. Das Klebereiweiß ist aber nicht nur in Lebensmitteln enthalten, sondern kann auch als Inhaltsstoff in Medikamenten, Zahnpasta, Pflegeprodukten, Kosmetik, Malstiften oder Kinder-Knetmasse zum Einsatz kommen.

Wissenswertes: Gesunde Kraftpakete

Es gibt viele Gerichte, bei denen sich Weizenprodukte durch sogenanntes „Pseudogetreide“ wie Amaranth, Quinoa oder Buchweizen ersetzen lassen. Aus gesundheitlicher Sicht punkten die kleinen Körner in vielen Bereichen. So ist etwa der Kohlenhydratgehalt von Amaranth und Quinoa etwas geringer als bei Vollkornweizen und somit bestens geeignet für Personen, die an erhöhtem Blutzucker oder Gewichtsproblemen leiden. Ein Vorteil von Amaranth und Quinoa gegenüber Weizen ist ihr höherer Eiweiß- und Fettgehalt in Form von essenziellen Aminosäuren sowie einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren.

Pseudogetreide sind außerdem reich an Mineralstoffen wie Kalium, Kalzium, Magnesium, Eisen und Folsäure. Vielseitig verwendbar – sei es in pikanten oder süßen Gerichten – sind Maisgrieß (Polenta) und Hirse.

Glutenfreies Getreide-Glück

Auch wenn die klassische Kaisersemmel aus Weizenmehl für Menschen mit Zöliakie ein absolutes Tabu ist – der Verzicht auf Gluten ist nicht gleichbedeutend mit dem Verzicht auf Genuss. Dies wird deutlich, wenn man sich die Vielfalt an Lebensmitteln ansieht, die von Natur aus ohne Gluten auskommen und somit den Speiseplan von Betroffenen bereichern können. So können sie etwa bei Mais, Reis, Wildreis, Hirse, Braunhirse, Buchweizen, Amaranth, Quinoa, Soja, Sesam, Leinsamen, Kastanienmehl, Johannisbrotkernmehl, Lupinenmehl, Hanf usw. bedenkenlos zugreifen.

Hafer enthält zwar geringe Mengen an Gluten, wird von den meisten Betroffenen aber gut vertragen – vorausgesetzt er wurde weder beim Anbau noch bei der Verarbeitung mit anderen glutenhaltigen Getreidesorten verunreinigt. Im Supermarkt sind glutenfreie Ersatzprodukte von Mehl, Brot, Brösel, über Pasta und Pizza bis hin zu Keksen und Kuchen, an der durchgestrichenen Ähre zu erkennen.

Glutenfrei ist nicht automatisch gesünder

Statistisch betrachtet ist etwa 1 % der Bevölkerung von Zöliakie betroffen. Spezielle glutenfreie Nahrungsmittel werden aber auch von Menschen gekauft, die weder Symptome noch eine Diagnose haben. „Frei von“ scheint im Trend zu liegen, auch wenn es dafür keine medizinische Notwendigkeit gibt. In den USA boomt „glutenfrei“ seit Jahren. So wird in den USA bereits in jedem zehnten Haushalt glutenfrei gekocht, und ein Viertel der Amerikaner ist der Ansicht, dass eine glutenfreie Ernährung für alle gesund ist.

Studien zeigen allerdings, dass der nicht notwendige Verzicht auf Gluten für die Herzgesundheit keinerlei Vorteile bringt, sondern sogar negative Folgen haben kann. Nämlich dann, wenn Vollkornprodukte vom Speiseplan gestrichen und durch glutenfreie, meist stark verarbeitete Ersatzprodukte ersetzt werden. Vollkorn punktet u. a. durch seine B-Vitamine und Ballaststoffe, die wichtig für die Darmflora und die Darmtätigkeit sind und dafür sorgen, dass der Blutzuckerspiegel langsam ansteigt. Glutenfreie Produkte aus dem Supermarkt enthalten teilweise mehr Kalorien und Fett, dafür aber weniger Nähr- und Ballaststoffe als die glutenhaltigen Originalprodukte.

Wer an keiner diagnostizierten Weizenallergie, Glutensensitivität oder Zöliakie leidet, sollte idealerweise auf eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährungsform wie etwa die mediterrane Kost setzen. Bei der Mittelmeerküche stehen Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Olivenöl, Nüsse, Kerne sowie kleine Mengen an Milchprodukten, Fisch und Geflügel auf dem Speiseplan.

Buchweizen

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Buchweizen ist wie auch Quinoa, Amaranth und Co. glutenfrei. Er ist sogar deutlich reicher an hochwertigen Nähr- und Vitalstoffen als unsere üblichen Getreidearten.

Quinoa

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Ursprünglich in Südamerika beheimatet, diente Quinoa schon den alten Inka als Grundnahrungsmittel. Es enthält hochwertiges, pflanzliches Eiweiß sowie Eisen, Folsäure, Magnesium, Zink und Mangan.

Amaranth

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Das Powerkorn enthält reichlich Lysin, eine für den Körper essenzielle Aminosäure. Es punktet auch mit Mineralstoffen wie Eisen, Zink, Kalzium, Magnesium und Vitamin B.

Text von Mag. Natascha Gazzari
Journalistin