Mit dem Ruhestand beginnt ein neuer Abschnitt. Damit dieser auch genossen werden kann, braucht es vor allem eines: Lebenssinn.

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Endlich in Pension, aber was mache ich mit der vielen Freizeit? Das fragen sich viele. Rund 2,5 Millionen Menschen beziehen in Österreich eine Pension. In den vergangenen Jahren wurden es immer mehr. Dabei gab es noch einen Anstieg zu beobachten: Die Zahl derer, die das Ende des Berufslebens nicht herbeisehnen, sondern fürchten, steigt. Laut Angaben des Seniorenbunds kommt es seit dem Jahr 2010 vermehrt zu Anfragen, welche Möglichkeiten es gibt, um länger im Berufsleben bleiben zu können. Ob in Altersteilzeit oder zumindest geringfügig – bis ins hohe Alter weiterarbeiten zu können, ist für viele Senior:innen ein wichtiges Thema. Meist aus einem einzigen Grund: dem befürchteten Pensionsschock zu entgehen.

Was sind eigentlich die Gründe, warum Menschen nach Pensionsantritt in ein seelisches Tief fallen? Der Hauptgrund ist, wenn Arbeit/Leistung einen derart hohen Stellenwert im Leben hat, dass die eigene Identität und damit verbunden der Selbstwert nur darüber definiert wird. In meiner Praxis verwende ich immer das Modell „Die 5 Säulen der Identität“ des Psychologen Hilarion Petzold. Demnach kann man sich das eigene Ich, die eigene Identität, wie ein Haus vorstellen, das auf fünf Lebensbereiche – die fünf Säulen – gestützt ist:

  1. Körper/Seele
  2. Soziale Beziehungen
  3. Arbeit/Leistung
  4. Materielle Sicherheit
  5. Werte

Im Idealfall sind diese fünf Lebensbereiche von der Wertigkeit her einigermaßen gleich und stützen dementsprechend das eigene Ich sehr stabil. Kommt es hingegen zu einer Ungleichverteilung der Wertigkeit und stützt man den Selbstwert vielleicht sogar nur auf eine Säule, kann das Ich gehörig ins Wanken geraten. In unserer Leistungsgesellschaft ist der Bereich Arbeit/Leistung meist der dominanteste. Mitunter kein Problem, wenn die anderen Säulen auch gefestigt dastehen und die notwendigen Ressourcen, die sich daraus ergeben, vorhanden sind. Trifft dies jedoch nicht zu, führt ein Wegfall der tragenden Säule Arbeit/Leistung und damit verbunden der Wegfall der eigenen Wertigkeit und des Lebenssinns unweigerlich in ein Seelentief – den Pensionsschock.

Wertschätzung abseits der Arbeit finden

Ein ganz wichtiger Faktor, um dem Pensionsschock zu entgehen, sind soziale Kontakte. Dabei gilt vor allem eines: Pflegen Sie Freundschaften abseits der Arbeit. Denn ein Wegfall der Arbeit bedeutet für viele, die sich ihr Leben lang nur auf Beruf und Karriere konzentriert haben, auch einen Wegfall der sozialen Beziehungen. Einsamkeit ist die Folge, was wiederum das Risiko für eine Depression erhöht. Um dieser Einsamkeitsfalle zu entkommen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Pensionistenclubs, Vereine oder den Kontakt zu Nachbarn suchen. All jenen, die sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und soziale Kontakte mit dem Aspekt Arbeit/Leistung verbinden wollen, sei eine ehrenamtliche Tätigkeit ans Herz gelegt. Freiwilligenarbeit bietet außerdem die Chance, Tätigkeiten auszuprobieren, die sich im Berufsleben nie ausgegangen sind. Durch das Engagement für andere wird die Säule Arbeit/Leistung, die im Berufsleben immer so wichtig war, wieder gestärkt, was sich wiederum positiv auf den Selbstwert auswirkt. Außerdem zeigen Langzeitstudien, dass Menschen, die Freiwilligenarbeit leisten, körperlich und geistig gesünder und glücklicher sind. An der Universität Michigan hat man sogar herausgefunden, dass das Sterberisiko bei älteren Menschen sinkt, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren, da Körper und Geist durch regelmäßige soziale Interaktionen weiterhin gefordert werden.

Bei den Tätigkeiten gibt es keinerlei Beschränkungen. Wichtig ist, dass es Spaß macht. Menschen, denen die Elternrolle immer wichtig war und die daraus ihre Wertschätzung bezogen haben, können sich beispielsweise als Leihoma oder Leihopa, als Lesepatin oder Lesepate engagieren.

Das Wichtigste ist, dass jede und jeder für sich herausfindet, was ihr/ihm Sinn im Leben gibt. Wer sich darüber bereits im Berufsleben Gedanken macht, soziale Beziehungen pflegt, die eigenen Bedürfnisse wahrnimmt und nach den eigenen Werten lebt, wird auch in der Pension Erfüllung finden und mit einem Augenzwinkern eher vom Pensionsstress reden als über Langeweile klagen. Werden Sie aktiv und sagen Sie dem Pensionsschock ade!