Sucht ist mit einem gesellschaftlichen Stigma belastet. Sie bedeutet jedoch nicht Willensschwäche, sondern ist eine Krankheit, die auch als solche behandelt und ernstgenommen werden sollte.

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Sucht ist eine chronische, psychiatrische Erkrankung und stellt Betroffene und ihr Umfeld vor große Herausforderungen. Typisch sind innerer Zwang zum Konsum, fortschreitender Verlust der Kontrolle über das Konsumverhalten, Vernachlässigung früherer Interessen, Entzugserscheinungen bei vermindertem Konsum, Toleranzentwicklung sowie die Zentrierung des Lebens auf die Einnahme. Man unterscheidet substanzgebundene Suchterkrankungen, zum Beispiel Alkoholabhängigkeit, und substanzungebundene Suchterkrankungen, zum Beispiel Spielsucht.

Die Ursachen, warum es bei Menschen zu einer Sucht kommt, sind komplex: Es handelt sich um ein Zusammenspiel aus individuellen, genetischen, familiären, gesellschaftlichen und sonstigen Einflüssen. Dabei beginnt eine Sucht oft harmlos: mit dem Gläschen Wein, um zu entspannen, mit dem Zug an der Zigarette, um besser denken zu können, mit der Schlaftablette, um zu vergessen etc. Bereits der Alchemist Paracelcus wusste: Jedes Ding ist ein Gift – allein die Dosis machts.

Ein erheblicher Teil der Suchtkranken leidet außer an der Sucht auch noch an weiteren psychischen Erkrankungen (z. B. Schizophrenie, Angsterkrankungen). Suchtkranke Menschen werden häufig Opfer direkter oder indirekter Diskriminierung. Diese Ausgrenzung gefährdet den Therapieerfolg, aber auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Süchtig nach Alkohol und Zigaretten

Jeder Österreicher im Alter ab 15 Jahren konsumiert statistisch betrachtet 26,4 g Reinalkohol pro Tag. Circa 53 Prozent des Alkohols werden in Form von Bier konsumiert, 37 Prozent in Form von Wein. Der Alkoholkonsum ist in Österreich gesellschaftlich akzeptiert und verankert. Alkohol ist jedoch auch ein Zellgift, welches Organe und Nervenzellen schädigen kann. Alkoholmissbrauch hat daher ernstzunehmende gesundheitliche Folgen.

Tabakabhängigkeit ist die am weitesten verbreitete Form der Sucht. Tabakrauch ist Ursache zahlreicher Erkrankungen – sowohl bei Rauchern als auch bei Passivrauchern. Rauchen ist ein maßgeblicher Risikofaktor, neben Lungenkrebs, unter anderem auch für Krebserkrankungen des Kehlkopfs, des Mund-, Nasen- und Rachenraums, der Speiseröhre, der Leber, der Bauchspeicheldrüse, der Brust und des Gebärmutterhalses (bei Frauen).

Neben Alkohol, Tabak, Medikamenten und Co. weisen auch bestimmte Nahrungsmittel ein gewisses Suchtpotenzial auf. Das Essen stark zuckerhaltiger oder kohlenhydratreicher beziehungsweise fetter Nahrungsmittel erfüllt oft nicht nur den Zweck der Energiegewinnung, sondern wird eingesetzt, um negative Gefühle auszugleichen.

Was kann man präventiv tun?

Damit Süchte erst gar nicht entstehen, sind suchtpräventive Maßnahmen – vor allem bei Kindern und Jugendlichen – das vorrangige Ziel. Sie sollen durch zielgruppengerechte Maßnahmen ermutigt werden, bei Problemen Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Da Sucht oft zum Stressabbau eingesetzt wird, fragen Sie sich, was Sie brauchen, damit es Ihnen gut geht – und wie Sie das ohne Suchtmittel erreichen (Entspannungsübungen, Sport, Naturerlebnisse uvm.). Das Schlüsselwort lautet hier: „Achtsamkeit“.

3 Fragen an Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek:

Musalek Michael_c_Anton Proksch Institut - Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, ärztlicher Leiter Anton Proksch Institut. - © Anton Proksch Institut
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, ärztlicher Leiter Anton Proksch Institut. © Anton Proksch Institut

Deine Apotheke: Welche Wirkung hat Alkohol, und wie viel ist zu viel?

Dr. Michael Musalek: Alkohol macht zwei Dinge: Das eine ist, dass er zur Sucht führen kann, das andere ist, dass er eine schädigende Substanz für alle Körpersysteme ist und außerdem depressionsfördernd wirkt. Hinsichtlich der körperlichen Schädigungen gibt es bestimmte Grenzmengen – rund 420 Gramm Reinalkohol. Das sind drei Krügel Bier und eine Bouteille Wein am Tag – da kann man damit rechnen, dass man eine Leberschädigung davonträgt. Alkohol wirkt in niedriger Dosierung stimmungsaufhellend und enthemmend. Mit zunehmender Dosierung kommt es in Bezug auf die Stimmung zu einem Kippen – und zwar von der euphorisierenden in die depressionsfördernde Wirkung.

Ist der Feierabend-Drink, um den Arbeitstag ausklingen zu lassen, noch unbedenklich? Wo hört der Genuss auf?

Leider ist ein Großteil dessen, was als Genusstrinken bezeichnet wird, eigentlich ein Wirkungstrinken. Auf einen Afterwork-Drink zu gehen, wird üblicherweise als Genuss bezeichnet. Wenn man dann genauer nachfragt, dann trinken aber viele Menschen doch, um zur Ruhe zu kommen und Spannungen abzubauen etc. Dort ist auch das problematische Trinken angesiedelt. Suchtentscheidend ist einerseits die Regelmäßigkeit, also dass man zum Beispiel keine alkoholfreien Tage einlegt, und zweitens, dass man den Alkohol nicht als Genussmittel einsetzt, sondern als Medikament. Diese Faktoren sind in Kombination mit einem erhöhten Konsum wegweisend in die Sucht.

Nicht nur Alkoholabhängigkeit – auch Medikamentensucht findet in der öffentlichen Wahr-nehmung kaum statt. Wie verbreitet ist sie?

Das Thema ist noch stärker tabuisiert. Man geht von ungefähr 150.000 bis 250.000 Medikamentenabhängigen aus. Das Problem ist, dass bei 90 bis 95 Prozent aller Medikamentenabhängigkeiten die Medikamente vom Arzt verschrieben wurden. Die Entzugsbehandlung ist auch viel schwieriger als bei der Alkoholkrankheit. In Österreich wird über dieses Problem zu wenig gesprochen: Stichwort Alltagsdoping. Hier werden Tranquilizer, Anxiolytika, Schlafmittel, Amphetamine und Substanzen, die leistungssteigernd wirken, sowie Schmerzmittel und Mischpräparate eingesetzt.