Dr. Stefan Seidel spricht im Interview über Schlafstörungen, Schlafmedikamente, blaues Licht und guten Schlaf.

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Warum Schlaf so wichtig ist und ob man auch zu viel schlafen kann, hat uns Dr. Stefan Seidel, Facharzt für Neurologie, Leiter des Schlaflabors der Universitätsklinik für Neurologie und europäisch zertifizierter Schlafmediziner an der MedUni Wien, im Interview erzählt.

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Dr. Stefan Seidel © MedUni Wien/Matern

Deine Apotheke: Was genau passiert während des Schlafes in Körper und Gehirn?

Dr. Stefan Seidel: Während des Schlafes verlangsamen sich die Gehirnströme, die Gehirnaktivität wird gleichmäßiger und langsamer, je tiefer wir schlafen, dem folgt auch eine Verlangsamung der Atemfrequenz und des Herzschlags. Alle möglichen Stoffwechselvorgänge werden heruntergefahren, zum Beispiel schränkt sich die Verdauung deutlich ein. Aber im Gehirn selber tut sich – sowohl im leichten als auch im Tiefschlaf – einiges. Man kann sagen, im Tiefschlaf beginnt sich das Gehirn selber zu reinigen. Über die Gehirnflüssigkeit, aber auch über das Blut, werden Stoffe aus den Nervenzellen abtransportiert, die, wenn sie zu viel werden, langfristig auch Nervenzellen schädigen können. Daher wissen wir auch: Wer langfristig schlecht schläft, hat ein höheres Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer.

Der Schlaf ist nicht durchgehend ein und dieselbe Schlafphase − es gibt Zyklen, eine Schlafarchitektur. Es gibt dazwischen Phasen, die man REM-Schlaf nennt. Hier beschleunigt sich die hirnelektrische Aktivität deutlich, der Herzschlag wird rascher, aber auch unregelmäßiger, ebenso die Atmung. Der Körper ist dann ganz schlaff, und man beginnt zu träumen. Teilweise kann man sich beim REM-Schlaf gegen Ende der Nacht zunehmend auch daran erinnern. Der Gehirnstoffwechsel steigt deutlich an – eigentlich mehr als im Wachzustand. Diese Phase hat einen wesentlichen Einfluss auf unsere Emotionsregulation beziehungsweise unser Lernen von motorischen Inhalten.

Ist der Schlaf vor Mitternacht wirklich besonders wichtig?

Das ist ein häufiger „Halbmythos“, salopp formuliert. Ein Teil trifft schon auf die meisten Menschen zu. Das kommt so zustande, dass wir ja einen gewissen Schlaf-Wach-Rhythmus, also Chronotypen, haben. Es kommt drauf an: Ist man eine Eule oder eine Lerche, geht man später oder früher zu Bett? Die meisten legen sich zwischen 22 und 23 Uhr hin. Deswegen ist es so, dass in den ersten 1,5 bis 2 Stunden bei den gesunden Schläfern viel Tiefschlaf passiert. Man darf aber nicht alle Menschen über einen Kamm scheren, weil es unterschiedliche Typen gibt. Wenn man einmal um 2 Uhr in der Früh schlafen geht, erlebt man trotzdem auch Tiefschlaf und hat diese regenerierenden Vorgänge im Gehirn. Diese sind dann vermutlich kürzer, weil es zu einem gewissen Schlafentzug kommt. Das ist eine halbe Binsenwahrheit, die einen wahren Kern hat.

Mittagsschläfchen/Powernaps – ja oder nein – und wenn ja, wie lange?

Dazu gibt’s gute Studiendaten. Man kann sagen, dass ein Powernap um die 20, 25 vielleicht auch 30 Minuten einmal am Tag ganz gut ist. Sie führen kurz, subjektiv zu einer Erfrischung, man ist wieder wacher und kann sich besser konzentrieren. Das steigert nachweislich auch vorübergehend die Lernfähigkeit. Das gilt jedoch für Gesunde.

Bei Schlafstörungen ist es wichtig, vor allem zu Beginn einer Behandlung den Tagschlaf − und damit diese Powernaps − sein zu lassen. Auch durch kurze Schläfchen wird der Schlafdruck, der sich tagsüber aufbaut, abgebaut. Bei der Behandlung von Schlafstörungen muss ein hoher Schlafdruck für die Nacht angesammelt werden.

Kann man eigentlich auch zu viel schlafen?

Ja, man kann tagsüber zu viel schlafen und sich damit seinen so genannten zirkadianen Rhythmus, also 24-Stunden-Rhythmus, zerstören. Dann hat man in der Nacht zu wenig Schlafdruck und liegt wach.

Das andere sind Schlafstörungen, so genannte Hypersomnien, bei denen Menschen aufgrund von Erkrankungen zu viel schlafen. Diese Menschen schlafen vielleicht 12, 14, 16 Stunden pro Tag. Sie sind krank und können nicht anders. Es gibt auch Menschen, die zu viel und ungewollt tagsüber immer wieder einschlafen. Das sind Menschen, die zum Beispiel unter einer seltenen Schlafstörung wie der Narkolepsie leiden. Unter einer erhöhten Tagesschläfrigkeit leiden − je nach Studie zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung. Da haben natürlich Menschen, die mit dem Auto fahren oder schwere Maschinen bedienen, ein erhöhtes Risiko, sich und andere zu verletzen. Das ist ein relevantes gesundheitliches Problem. Geht man sehr spät schlafen, kann man nach dem Aufwachen schlaftrunken sein, weil man den Tiefschlaf erst gegen Nachtende konsumiert und aus diesem möglicherweise aufwacht. Diese Schlaftrunkenheit kann unterschiedlich lang dauern.

Ab wann spricht man von einer Schlafstörung?

Ganz wichtig ist bei Schlafstörungen die zeitliche Dimension. Definiert wird eine Schlafstörung ab drei Monaten. Da spricht man dann nicht mehr von einer akuten, vorübergehenden, sondern von einer chronischen Schlafstörung – das ist das eine.

Das andere ist die Art und Weise, wie der Schlaf gestört wird: Probleme beim Ein- und/oder Durchschlafen beziehungsweise ein frühmorgendliches Erwachen müssten regelmäßig. (ungefähr dreimal pro Woche) vorhanden sein.

Ein weiterer Punkt ist die Beeinträchtigung tagsüber. Die kann sich auf mehreren Ebenen abspielen: das Gefühl abgeschlagen und müde zu sein, sich nicht konzentrieren zu können. Aber auch die psychologische Dimension: ist man reizbarer, niedergeschlagener? Da kann sich auch eine Depression ausbilden. Diese Kombination, die ich gerade dargestellt habe, ist dann eine klinisch relevante Schlafstörung. Umgekehrt: Wenn jemand einmal zwei, drei Wochen länger braucht, um einzuschlafen, ist das noch keine Schlafstörung im klinischen Sinn, weswegen man sich Sorgen machen muss. Viele Schlafstörungen remittieren (gehen zurück; Anm. d. Red.) dann einfach auch. Wenn ein Stressor weg ist oder eine körperliche Erkrankung, die dazu beigetragen hat, ausgeheilt ist, dann verschwinden Schlafstörungen oft auch wieder.

Schlafprobleme sind zum Beispiel in der Menopause häufig. Wie kann man dann gezielt behandeln?

Bis zur Pubertät gibt es kaum Geschlechterunterschiede beim Schlaf. Dann, im Rahmen des Erwachsenwerdens und speziell in der Menopause ergeben sich Unterschiede zwischen Mann und Frau. Ein häufiger Ansatz ist dann die hormonelle Seite zu bedienen und mit östrogenhaltigen Cremes den Schlaf zu verbessern oder einen Östrogenersatz niederschwellig anzubieten.

Ganz wesentlich ist aber auch, immer genau zu erfragen, wo das Problem liegt. Dadurch, dass sich der hormonelle Haushalt bei der Frau verändert, kann im fortgeschrittenen Alter die Häufigkeit der schlafbezogenen Atmungsstörungen zunehmen. Gerade bei Frauen um die 60, 65, 70, die schlaflos sind, sollte man abklären, ob nicht eine so genannte Schlafapnoe vorliegt. Wir wissen, dass sich eine Schlafapnoe bei Frauen häufiger über eine Schlaflosigkeit präsentiert. Da sollte man also genau hinschauen.

Von der Behandlung ist − abgesehen vom Östrogenersatz −, wie bei anderen Insomnien auch, die kognitive Verhaltenstherapie die erste Wahl. Oft besteht der Wunsch nach Phytotherapeutika; da haben wir auch eine gewisse Evidenz für verschiedene Pflanzenextrakte. Aber die Verhaltenstherapie ist die erste Wahl.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Schlafstörungen im Erwachsenenalter und der Art, wie Kinder zum Schlaf finden?

Kindern, die am Anfang wild durcheinanderschlafen, sollte man einen guten Rhythmus geben. Wenn sie einmal schlafen, halte ich persönlich wenig davon, sie schreien zu lassen; weil das die Konditionierung mit sich bringt: Im Bett liegen bedeutet alleine sein. Ein bisschen Unruhigsein ist schon ok, aber wenn das Kind zu gestresst, zu ängstlich wird, rausnehmen und den Kontakt bieten. Es gibt gewisse prädisponierende Faktoren für Schlafstörungen im späteren Lebensalter. Manchmal findet man bei Jugendlichen Schlafstörungen, bei denen schon die Eltern oder Großeltern betroffen waren.

Wie kontraproduktiv ist blaues Licht von elektrischen Geräten?

Zunächst muss man erklären, dass das Spektrum des Lichts, das von den Bildschirmen ausgeht, anders zusammengesetzt ist als natürliches Licht. Bildschirme haben besonders hohe Anteile an blauem Licht. Das blaue Licht wird besonders gut wahrgenommen im Auge, durch das so genannte Melanopsin. Das ist ein Eiweißstoff in der Netzhaut, der besonders lichtempfindlich ist. Das Licht wird an die Zirbeldrüse weitergeleitet und die Melatoninproduktion unterdrückt. Ich verschiebe meinen Schlafrhythmus nach hinten, wenn ich lange und intensiv am Abend auf Bildschirme schaue.

Können Medikamente zu Schlafstörungen führen?

Es gibt eine Reihe von Substanzen, die Tagesmüdigkeit oder Schlafstörungen als Nebenwirkung haben. Seien es Antidepressiva, Antipsychotika oder Benzodiazepine zur Behandlung von Angststörungen. Mir scheint wichtig zu erwähnen, dass die Betablocker, die ja sehr verbreitet in der Bluthochdruckbehandlung sind, auch Müdigkeit verursachen können. Was die wenigsten wissen: Sie können auch regelmäßige und ausgiebige Alpträume verursachen.

Viele Kombinationspräparate, die bei Bluthochdruck zum Einsatz kommen, beinhalten eine entwässernde Komponente. Diese sollte man nicht am Abend einnehmen, da die Patienten durch den nächtlichen Harndrang auch Durchschlafstörungen bekommen können.

Ein weiterer Punkt sind Steroide: Sie werden vom Körper am stärksten morgens ausgeschüttet. Bei einer Kortisontherapie sollte die Einnahme daher am Morgen erfolgen.

Woher kommt die Furcht beziehungsweise der Respekt vor Schlafmedikamenten? Machen sie abhängig?

Die Präparate, die am häufigsten eingesetzt werden, sind die Z-Substanzen, wie zum Beispiel der Wirkstoff Zolpidem. Da ist meine persönliche Erfahrung, dass es meistens zu keiner Dosissteigerung kommt, und die Patienten durchaus über lange Zeit ein gutes Ansprechen haben.

Was schon kritisch zu sehen ist, ist, dass diese Substanzen bei älteren Patienten einen Hangover-Effekt produzieren und Nebenwirkungen wie Gangunsicherheit und damit ein höheres Sturzrisiko hervorrufen können. Aber ich würde nicht dazu raten, diese von heute auf morgen abzusetzen. Vielleicht kann man sie reduzieren; dazu würde ich aber verhaltenstherapeutische Maßnahmen empfehlen: zum Beispiel mehr Licht tagsüber sowie Melatonin am Abend.

Welche Alternativen empfehlen Sie, beziehungsweise was kann man selbst tun, um besser zu schlafen?

Wie bereits erwähnt, empfehle ich die kognitive Verhaltenstherapie. Dies ist ein Sammelsurium an Maßnahmen, bei denen wichtig ist, dass man langfristig dranbleibt. Wenn ich eine Einschlafstörung habe, ist es zum Beispiel wichtig, nach 15 Minuten aus dem Bett aufzustehen, um diese Konditionierung abzubauen, dass man im Bett nicht schlafen kann. Hilfreich sind auch Entspannungstechniken, wie zum Beispiel das Biofeedbacktraining.

Das andere ist die so genannte Schlafrestriktion. Bei Menschen, die nachts wach liegen und deshalb drei Stunden früher schlafen gehen, um sich den Schlaf zu holen, muss ich das Schlaffenster einschränken, um den Schlafdruck zu erhöhen. Wichtig ist, bei solchen Maßnahmen dranzubleiben. Effekte zeigen sich nach vier bis acht Wochen.

Ein weiterer Punkt sind dysfunktionale Gedanken. Ein Klassiker ist: „Wenn ich heute nicht gut schlafe, dann geht morgen alles schief.“ Da muss man im Gespräch überprüfen, ob diese Gedankengänge zutreffen. Man kann außerdem nicht von jeder Nacht das Gleiche erwarten. Auch damit muss ich versuchen, positiv umzugehen.

Phytotherapeutika sind sehr beliebt, weil sie als sanft und nebenwirkungsarm gelten und keine Abhängigkeiten produzieren. Das mit den Abhängigkeiten stimmt; Nebenwirkungen können auftreten. Was man empfehlen kann, sind Baldrian, Melisse, Hopfen – oft auch in Kombinationspräparaten. Man kann sie bei leichten bis moderaten Schlafstörungen empfehlen, der subjektive Effekt ist dabei oft größer als der messbare. Abschließend möchte ich noch das Ergebnis unserer repräsentativen Schlafumfrage erwähnen: Diese hat gezeigt, dass eine optimistische Grundhaltung einen positiven Effekt auf die Schlafqualität hat. Menschen, die optimistischer an gewisse Dinge herangehen, haben eine höhere Chance für guten Schlaf.

Danke für das Gespräch.

Buchtipp: Der Schlaf

Buchcover_Seidel_Der_Schlaf_Manz Verlag Wien - © Manz Verlag Wien
© Manz Verlag Wien

Wir schlafen rund ein Drittel unseres Lebens! Ein guter Schlaf erfüllt viele entscheidende Funktionen für unser körperliches und geistiges Wohlbefinden. Leider nimmt die Häufigkeit von Schlafstörungen in der Bevölkerung zu. Wie wir die verschiedenen Formen von Schlafstörungen erkennen und trotz – oder eben mithilfe – moderner Techniken weiterhin gut schlafen, beschreibt Stefan Seidel von der Medizinischen Universität Wien im Ratgeber „Der Schlaf“.

Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen erklärt er,

  • wie sich unser Schlafverhalten im Laufe unserer Entwicklung verändert hat,
  • was sich während unseres Schlafes in unserem Körper während einer Nacht ereignet und
  • welche Schlafstörungen auf welche Art und Weise diagnostiziert und behandelt werden können.

Der Schlaf von Stefan Seidel
2020, MANZ Verlag Wien in Kooperation mit der MedUni Wien
ISBN: 978-3-214-18548-0
23,90 €

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