Diese neuropsychiatrische Erkrankung macht sich durch unwillkürliche, nicht kontrollierbare Bewegungen und Lautäußerungen (Tics) bemerkbar.

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Das Tourette-Syndrom (vollständiger Name "Gilles-de-la-Tourette-Syndrom") ist eine angeborene Erkrankung des Nervensystems, die sich durch das Auftreten von so genannten Tics äußert. Tics sind plötzliche, unwillkürliche Bewegungen (motorische Tics) oder Lautäußerungen (vokale Tics), die keinen Zweck erfüllen und immer in der selben Weise ablaufen. Von einem Tourette-Syndrom spricht man laut Definition dann, wenn der/die Betroffene gleichzeitig unter mehreren motorischen und zumindest einem vokalen Tic leidet.

Schätzungsweise rund 0,5 bis 1 % der Kinder sind vom Tourette-Syndrom betroffen. Bei Buben wird die Erkrankung etwa dreimal so häufig diagnostiziert wie bei Mädchen. Bei den meisten Tourette-Syndrom-Patient:innen bessern sich die Symptome nach der Pubertät oder verschwinden sogar ganz. Nur eher selten bleiben die Tics bis ins Erwachsenalter bestehen. Bei vielen Betroffenen ist die Erkrankung nur schwach ausgeprägt und eine Behandlung nicht notwendig.

Man unterscheidet drei Schweregrade:

  • Gering ausgeprägtes Tourette-SyndromDie Tics beeinträchtigen das Verhalten in der Schule oder im Berufsleben nicht, sie werden von Außenstehenden kaum bemerkt und nicht als Problem empfunden. In der Regel ist keine Behandlung erforderlich.
  • Mäßig ausgeprägtes Tourette-SyndromDie Tics beeinträchtigen teilweise das Ausführen von Tätigkeiten, fallen anderen auf und lösen Probleme in der Schule oder im Berufsleben aus. Eine Therapie kann hilfreich sein.
  • Schwer ausgeprägtes Tourette-SyndromDie Tics sind sehr auffällig und beeinflussen die soziale Interaktion und Leistungsfähigkeit in der Schule oder im Berufsleben erheblich. Die Symptome werden von den Betroffenen als sehr belastend erlebt. Eine Therapie ist in den meisten Fällen erforderlich.

Zu den typischen Symptomen des Tourette-Syndroms gehören:

Motorische Tics

  • einfache motorische Ticsz.B. Augenzwinkern/-blinzeln, Schulterzucken, Grimassen schneiden, Kopfrucken
  • komplexe motorische Ticsz.B. Hüpfen, Treten, Springen, Stampfen, Drehen, Kopropraxie (das Zeigen obszöner Gesten), Echopraxie (das Imitieren von Bewegungen anderer)

Vokale Tics

  • einfache vokale Ticsz.B. Räuspern, Schnüffeln, Husten, Grunzen, Bellen, Pfeifen
  • komplexe vokale Tics z.B wiederholtes Nachsprechen von Wörtern oder Sätzen (Echolalie), Wiederholung selbstgesprochener Wörter (Palilalie), enthemmte Sprache

Achtung

Viele Menschen bringen das Tourette-Syndrom vor allem mit dem ungewollten Ausstoßen von Schimpfwörtern und Obszönitäten (Koprolalie) in Verbindung. In Wirklichkeit tritt dieser Tic jedoch nur bei etwa 15 bis 20 % der Betroffenen auf.

Ursachen

Trotz erheblicher Forschungsfortschritte in den letzten Jahren sind die Ursachen des Tourette-Syndroms noch nicht vollständig geklärt. Expert:innen gehen jedoch davon aus, dass die genetische Veranlagung eine wesentliche Rolle bei der Entstehung einnimmt. Kinder von Eltern, die unter dem Tourette-Syndrom leiden, haben ein zehn- bis hundertmal höheres Risiko, selbst zu erkranken als Kinder von nicht-erkrankten Eltern. Bisher gelang es jedoch nicht, den genauen genetischen Defekt zu finden, der dem Tourette-Syndrom zugrunde liegt.

Auch diverse Umweltfaktoren zählen zu den möglichen Tourette-Auslösern. Studien haben gezeigt, dass u.a. Rauchen, Alkohol/-Drogenkonsum und psychosozialer Stress während der Schwangerschaft mit dem Auftreten von Tics beim Kind zusammenzuhängen scheinen.

Auf neurobiologischer Ebene dürfte eine Störung im Botenstoffwechsel des Gehirns für die Entstehung des Tourette-Syndroms verantwortlich sein. Vor allem der Haushalt des Neurotransmitters Dopamin, der für das Weiterleiten von Informationen im Gehirn wichtig ist, scheint dabei betroffen zu sein.

Was hilft?

Das Tourette-Syndrom ist nach derzeitigem Forschungsstand nicht heilbar. Es gibt jedoch einige Behandlungsoptionen, die das Leben mit der Erkrankung erleichtern und den Leidensdruck vermindern können.

Medikamentöse Behandlung

Bei schwereren Ausprägungen des Tourette-Syndroms kann eine medikamentöse Behandlung erforderlich sein. Speziell Wirkstoffe aus der Gruppe der Neuroleptika werden häufig eingesetzt, um die Tics abzuschwächen und somit die psychosoziale Situation zu verbessern. Diese Substanzen setzen meist am Botenstoff Dopamin im Gehirn an und hemmen das dortige Informationssystem. Die medikamentöse Einstellung erfolgt dabei in der Regel mit langsamer Dosissteigerung. Auch zur Behandlung möglicher Begleiterkrankungen wie ADHS, Angststörungen und Depressionen können Medikamente zum Einsatz kommen.


Nicht-medikamentöse Behandlung

  • Psychoedukation:Im Rahmen der psychoedukativen Beratung wird den Betroffenen und den nahen Angehörigen Wissen über das Tourette-Syndrom nähergebracht. Im Idealfall sollten auch andere wichtige Bezugspersonen des Kindes (z.B. Lehrer:innen) einbezogen werden. Dadurch können die seelische Belastung und der psychosoziale Stress oft gelindert werden.
  • Verhaltenstherapie:Bei älteren Kindern und Jugendlichen haben sich verhaltenstherapeutische Maßnahmen als wirksam erwiesen. Dazu gehören vor allem das sogenannte „Habit Reversal Training“ (HRT) und das „Exposure and Response Prevention Training“ (ERPT), die jeweils zur Reduktion der Tics beitragen können. Beim HRT lernen die Patient:innen die Tics besser wahrzunehmen und die automatisierten Verhaltensketten durch alternative Handlungen zu unterbrechen. Das ERPT-Verfahren zielt ebenfalls darauf ab, den von Patient:innen mit Tics oft beschriebenen Automatismus zu unterbrechen. Betroffene, bei denen sich der Tic durch ein bestimmtes Vorgefühl ankündigt, lernen, dass auf dieses nicht zwangsweise ein Tic folgen muss.
  • EntspannungstechnikenDiverse Techniken wie Autogenes Training oder die progressive Muskelentspannung nach Jacobson können helfen, die Stressreaktionen zu vermindern und die Selbstkontrolle über die Tics zu verbessern.
  • Tiefe Hirnstimulation ("Hirnschrittmacher")In sehr schweren Tourette-Fällen kommt auch ein chirurgischer Eingriff in Frage. Bei der Tiefen Hirnstimulation werden - wie der Name bereits verrät - Elektroden in tiefe Gehirnregionen implantiert und bestimmte Areale stimuliert.