Sucht ist ein allgegenwärtiges Thema – und vielerorts immer noch ein Tabu. Sie ist aber vor allem eines: eine Krankheit und keine Charakterschwäche.

Artikel drucken

Als niederschwelliger Gesundheitsdienstleister ist Sucht in der Apotheke naturgemäß ein wichtiges Thema. Aus diesem Grund bildeten sich beim kürzlich über die Bühne gegangenen APOkongress über 1.200 Apotheker:innen in Innsbruck und Wien zum Thema Suchterkrankungen weiter. Eines zeigte sich ganz klar: Sucht ist komplex und kann wirklich jeden treffen.

Kein Tropfen unbedenklich: Alkohol

Bei Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge und auch keine positiven Effekte auf die Sterblichkeit und Krankheitshäufigkeit. Die WHO differenziert zwischen Niedrig-, Mittel- und Hochrisikokonsum. Der Eindruck: „Low risk is no risk“ stimmt jedoch nicht. Fakt ist: Negative Konsequenzen sind bereits beim ersten Tropfen jedes alkoholischen Getränks zu erwarten. Die Risikokurve steigt exponentiell an. Ein klassischer Effekt von Suchtmitteln ist, dass der Konsum eine Eigendynamik entwickelt. Zu Beginn entscheidet man sich für ein Verhalten. Trinkt man jedoch regelmäßig Alkohol, wird dieses Verhalten zur Gewohnheit und man muss sich aktiv entscheiden, nicht zu trinken. Der Suchtmittelkonsum wird also zum Automatismus.

Ethanol bewirkt eine Dämpfung der Gehirnaktivität. Bei regelmäßigem Alkoholkonsum passen sich die Rezeptoren im Körper an. Wird nun plötzlich kein Alkohol mehr getrunken, resultiert das in typischen Entzugssymptomen wie innere Unruhe, Nervosität bis hin zur erhöhten Anfallsneigung. In der Entzugsbehandlung gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten, das Alkoholentzugssyndrom zu therapieren.


Nicht substanzbezogene Süchte: Kaufsucht, Spielsucht

Etwa 84 % der Spielsüchtigen sind von Glücksspiel-Automaten abhängig, je 15–20 % von Sportwetten, Kartenspiel, Roulette und Casinoautomaten. Lotto, Rubelllose und Brieflose sind aufgrund der hohen Ereignisfrequenz (Zeitraum von Aktion bis zum Ergebnis) für Spielsüchtige eher uninteressant. Grundsätzlich nehmen stoffungebundene Süchte zu, da die Verfügbarkeit – auch durch Online-Angebote – stetig steigt. Beim Spielen häufen sich irgendwann die Verluste, beim Versuch, die erlittenen Verluste durch erhöhten Einsatz zurückzuholen, wird so viel Geld verspielt, bis Kredite aufgenommen werden. Dennoch erfolgt früher oder später der Zusammenbruch.

Physiologisch gesehen werden stoffungebundene Süchte im Körper zu stoffgebundenen Süchten. Die Ausschüttung von Neurotransmittern während des Spielens ist dabei mit einem Alkoholrausch vergleichbar. Das oberste Therapieziel ist die Abstinenz, denn „es gibt kein kontrolliertes Glücksspiel.“

Bei der Kaufsucht steht der Akt des Kaufens im Vordergrund, nicht das Produkt. Typischerweise kaufen Süchtige allein. Alle Bildungsschichten und Geschlechter sind gleichermaßen betroffen, das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt etwa 60 zu 40. Abstinenz ist bei der Kaufsucht naturgemäß nicht möglich. Stattdessen muss ein normales, achtsames Kaufverhalten (wieder)erlernt werden.


Arzneimittel-Abhängigkeit

Etwa 150.000 Personen sind in Österreich arzneimittelabhängig, die Dunkelziffer ist vermutlich doppelt so hoch. Obwohl Medikamentenabhängigkeit die dritthäufigste Sucht ist, gibt es kaum belastbare Zahlen. Aufgrund der ärztlichen Verordnung der Medikation bleibt die Abhängigkeit oft jahrelang unentdeckt. Das höchste Suchtpotenzial geht von Benzodiazepinen (Mittel bei Angst- und Schlafstörungen), Z-Substanzen (bei Schlafstörungen) und Schmerzmitteln aus.

Benzodiazepin-Abhängigkeit (einschließlich der Z-Substanzen) ist bei älteren Patient:innen besonders gefährlich, da diese mit Halluzinationen und Verwirrtheit auf die Einnahme reagieren können und die Sturzgefahr erhöht ist. Häufige Folgen des Langzeitkonsums sind reduzierter Antrieb, emotionale Abstumpfung, Interessensverlust; auch die Denkleistung kann beeinträchtigt werden.


Behandlung von Suchterkrankungen

„Entscheidend ist, dass jemand in Behandlung geht und in Behandlung bleibt“, erklärte Univ. Prof. Dr. Michael Musalek. Schließlich ist das Hauptziel der Therapie sehr häufig die Abstinenz, die für kaum einen Menschen etwas Schönes ist. „Jede Suchterkrankung ist eine Langzeiterkrankung und bedarf daher immer einer (ambulanten) Langzeitbehandlung“, so Musalek.

Manchmal braucht es eine stationäre Behandlung, um eine Basis zu legen, damit Suchtkranke ihre oft desaströsen Umfelder verlassen. Die stationäre Therapie dient daher auch als ein Schutzraum. Einerseits brauchen Erkrankte eine Stütze und Halt, andererseits ein attraktives Ziel. Wesentlich sind ein sicherer Raum, in dem Betroffene ihre ersten Schritte zur Gesundung gehen können, und andere Menschen, die die Kranken auffangen.